Gebet vor dem Badezimmerspiegel


 hören >>  


Lieber Gott, wie wär‘s mit mir als Micker,

Dünn und drahtig könnte ich durchs Leben gehn?

Du, seit Wochen werd‘ ich immer dicker,

Du, ich kann schon meine Zehen nicht mehr sehn!

Guck ich runter, seh ich einen Hügel,

Unter dem ich Zehen nur vermuten kann,

Das Barockgespenst im Badezimmerspiegel

Guckt mich aus verschweinsten kleinen Augen an.


Manchmal träum‘ ich einer Stadtgazelle

Hinterher, wenn sie an mir vorüberschnürt,

Schließlich steh ich wieder an der Schwelle,

Die zu meinem Albtraumbadezimmer führt.

Ach, warum nur quälst du mich mit Träumen,

Füllst mich mit Gewicht und Sehnsuchtsbildern ab?

Stadtgazellen grasen in entfernten Räumen,

Und als Dicker hast ‘e dorthin nicht den Trab.


Lieber Gott, auch wenn wir es beklagen,

Sind wir beide – guck mal in den Spiegel! – viel zu dick.

Soll‘n wir eine Kur dagegen wagen?

Oder nehmen wir’s gefasst als Daseinsknick?

Was? Du schweigst? Na, dann in Gottes Namen

Kann nur das die Lösung unsres Falles sein:

Lass uns einfach noch viel dicker werden, amen.

(Und jetzt lad’ ich uns zum Schweinebraten ein.)