An Hermes

 – Schöner Gott, ich weiß, du fliegst da oben,
Und du hast mich im Visier,
Und du hältst mich für vollkommen,
Insoferne gleich ich dir.
 
Du, wenn ich mich morgens selber sehe
Auf dem Dachbalkone nackt,
Rückgespiegelt in der Glastür,
Ganz in Frühling eingepackt,
 
Du, dann bin ich einfach so vollkommen,
Immer morgens um halb acht.
Fünf nach neun ist alles anders,
Weil: Dann steh ich überdacht

Nackt auf einer Leopardendecke
Im Museum als Modell,
Und ein Seufzer löst sich leise,
Und mein Lächeln endet schnell,
 
Dort betrachten mich die Aushilfsgötter,
Und sie zeichnen mich als Akt,
Und, ich ahne es, am Himmel
Hast du SOS geflaggt.
 
Keine Panik, schöner Gott, schon morgen
Wogend wieder auf dem Dach
Steh ich, dreh mich für uns beide,
Und ich hör dein fernes: «Ach!»


Pfunde-Tango

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 – So geht das nicht weiter,
Du wirst immer breiter,
Versteckst deine Fülle
In schmeichelnder Hülle,

So geht das nicht weiter,
Du wirst immer breiter,
Du ruderst ins Runde
Und wuchtest die Pfunde,

So geht das nicht weiter,
Du wirst immer breiter,
Du stehst auf der Leiter,
Und ich steh davor und guck

Zu dir, zu dir hoch, Liebste,
Und glaub es nicht, ich glaubs nicht, Liebste,
Was seh, ach Gott, was seh ich, Liebste,
Ich guck und seh die Fülle, Liebste,

Du warst einstens meine Schlanke,
Meine schlanke Ranke,
Jetzt rankst du rund, rundumrund, kugelrund, Pfund um Pfund 
Um dich herum. 

Ich guck zu dir hoch, Liebste,
Und ich glaub, ich glaub es nicht,
Was seh, seh, was seh ich, ach,
Ich seh, seh, die Fülle, Liebste,

Treib es, treibs nicht so weiter,
Steig von der Leiter,
Und komm und lauf jetzt, lauf jetzt, mit mir ums Haus jetzt,
Ums Haus herum.

Verdammtnochmal,
So geht das nicht weiter,
Du wirst immer breiter,
Komm, wir drehn eine Runde,
Und schrumpfen die Pfunde,
Los, steig von der Leiter,
Wir, wir laufen ums Haus. 

Wie ein Schmetterling bist du doch einstens geflogen,
Hast kaum was gewogen,
Bist im Schmetterlingsbogen
Um die Häuser gezogen.

Und jetzt bist du die Fülle
In schmeichelnder Hülle,
Du ruderst ins Runde
Und wuchtest die Pfunde.

Du, so geht das nicht weiter,
Du wirst immer breiter,
Also kommt von der Leiter,
Und wir rennen ums Haus. 

(Grafik: © Knoppx)


Gebet vor dem Badezimmerspiegel


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Lieber Gott, wie wär‘s mit mir als Micker,

Dünn und drahtig könnte ich durchs Leben gehn?

Du, seit Wochen werd‘ ich immer dicker,

Du, ich kann schon meine Zehen nicht mehr sehn!

Guck ich runter, seh ich einen Hügel,

Unter dem ich Zehen nur vermuten kann,

Das Barockgespenst im Badezimmerspiegel

Guckt mich aus verschweinsten kleinen Augen an.


Manchmal träum‘ ich einer Stadtgazelle

Hinterher, wenn sie an mir vorüberschnürt,

Schließlich steh ich wieder an der Schwelle,

Die zu meinem Albtraumbadezimmer führt.

Ach, warum nur quälst du mich mit Träumen,

Füllst mich mit Gewicht und Sehnsuchtsbildern ab?

Stadtgazellen grasen in entfernten Räumen,

Und als Dicker hast ‘e dorthin nicht den Trab.


Lieber Gott, auch wenn wir es beklagen,

Sind wir beide – guck mal in den Spiegel! – viel zu dick.

Soll‘n wir eine Kur dagegen wagen?

Oder nehmen wir’s gefasst als Daseinsknick?

Was? Du schweigst? Na, dann in Gottes Namen

Kann nur das die Lösung unsres Falles sein:

Lass uns einfach noch viel dicker werden, amen.

(Und jetzt lad’ ich uns zum Schweinebraten ein.)




Drehnsen Tango!


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Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn das Herz mal wieder aus den Nähten geht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Wind mal wieder aus der falschen Richtung weht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Mensch in Ihnen auf der Kippe steht,

Und schon im Tangotakt, 

Hat sich das Herz entschlackt,

So kriegense Herzensschmerzen locker aus der Welt, 

Der Schmerz wird abgewrackt,

Der Mensch wird ausgepackt 

Und als geheilt von Ihnen in die Welt gestellt.


Manchmal verzehrt sich die Seele,

Manchmal da drückts in der Brust,

Seele kommt nicht von der Stelle,

Mensch hat auf gar nichts mehr Lust,

Mensch wirft sich selber nur scheele

Blicke im Spiegelbild zu,

Mensch steht im Frust,

Und dann bringt er sich um

Oder nicht und kriegt im Tangotakt sich selber rum


Und dreht‘n Tango, drehnsen Tango

Wenn das Herz mal wieder aus den Nähten geht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Wind mal wieder aus der falschen Richtung weht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Mensch in Ihnen auf der Kippe steht,

Und schon im Tangotakt, 

Hat sich das Herz entschlackt,

So kriegense Herzensschmerzen locker aus der Welt, 

Der Schmerz wird abgewrackt,

Der Mensch wird ausgepackt 

Und als geheilt von Ihnen in die Welt gestellt.


Manchmal verwünscht man sich selber,

Manchmal da stehts bis zum Kinn,

Welt ist ein Stall voller Kälber,

Gar nichts mehr Menschliches drin,

Mond wird von selber nicht gelber,

Mensch wird von selber nicht Mensch,

Mensch steht im Frust,

Und dann bringt er sich um

Oder nicht und kriegt im Tangotakt sich selber rum


Und drehtn Tango, drehnsen Tango

Wenn das Herz mal wieder aus den Nähten geht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Wind mal wieder aus der falschen Richtung weht,

Drehnsen Tango, drehnsen Tango,

Wenn der Mensch in Ihnen auf der Kippe steht,

Und schon im Tangotakt, 

Hat sich das Herz entschlackt,

So kriegense Herzensschmerzen locker aus der Welt, 

Der Schmerz wird abgewrackt,

Der Mensch wird ausgepackt 

Und als geheilt von Ihnen in die Welt gestellt.


 



Von Schaf zu Schaf

 – Manchmal guckt er in den Spiegel,
Meistens guckt ein Mensch zurück,
Meistens ist er es dann selber,
Manchmal dreht sich auch das Glück.

Beispielsweise wenn ein Schaf guckt
Und den Guckenden erschreckt:
Welcher Teufel hat, so fragt er,
Die Verwechslung ausgeheckt?

Wer ist wer in solchem Falle?
Wo verblieb der Unterschied?
Gilt das Spiegelbild auf Dauer?
Wehe, wenn‘s ein Mitmensch sieht!

Ich als Schaf, ich sage: Macht nichts,
Ich als Schaf seh‘ das nicht eng –
Wenn ein neues Sein jetzt anfängt,
Und der Mensch hinfort als Schaf denkt,
Ist der Schrecken schon geschluckt,
Eh' er in den Spiegel guckt.


Franz, du  musst!

 – Siehts der Mond auch jeden Abend,
Guckt er doch zum Fenster rein,
Drinnen flackert rot die Lampe,
Und man wechselt einen Schein.

Eine Hose wird in Falten
Über einen Stuhl gelegt,
Während sich ein tiefer Seufzer
Zwischenmenschlich fortbewegt.

Eine Spinne lässt sich fallen,
Und ein Seidenfummel fällt,
An der Wand im Schnörkelrahmen
Guckt ein Engel in die Welt.

Eine Fülle von orangen-
farbener Verkäuflichkeit
Legt sich auf das Vorgeprüfte
Und erwartet den Bescheid.

Ein Gebet auf schmalen Lippen
Wird im Himmel überhört,
Und ein Schicksal steht im Zimmer
Irgendwie herum und stört.

Ein ermunterndes: «Was ist denn!»
Aus der Ecke mahnt zur Lust,
Und das Schicksal fährt zusammen
Und entscheidet: «Franz, du musst!»

Siehts der Mond auch jeden Abend,
Guckt er doch zum Fenster rein,
Drinnen fällt beherzt ein Schicksal
Auf ein anderes herein.



Packend fleischlich

 – Don Quichotte spricht ein Gebet:

Gott, oh Gott, dem nichts entgeht,

Mach mich stark, im Garten hockt

Hüllenlos ein Weib und lockt!

Ihre Schenkel sind von Stein,

Stein ist alles, alles, n–n–n–ein,

Manchmal nachts wird die Figur

Packend fleischliche Natur,

Ihre Schenkel, ihre Arme,

Ihre … Gott, oh Gott, erbarme

Dich des Menschen, der mit schlechten

Kleinen Lüsten in den Nächten

Unter deinen Sternen hockt,

Ach, sie lockt und lockt und lockt,

Amen, amen …



Elizabeth II. zu Besuch

 – Fliederstein verlor sich jüngst in einem
Wundervoll entworfnen Zeitungsbild:
Eine Frau mit Schüsselhut und kleinem
Lächeln ging durch dieses Bild, und wild

Guckte ihr ein – Fliederstein verstand es,
Was da guckte, wie und auch wohin,
Auszuloten als ein wahlverwandtes
Männergucken mit Bedeutung drin.

Ach, wie hatte er mit solchem Gucken
Selbst schon Frauen auf den Hut geguckt!
Ach, wie war ihm jetzt nach Händespucken,
Und wie hat es hinterm Ohr gejuckt,

Etwas zog ihn, etwas ließ ihn gleiten
Weg vom Sofa, mittenrein ins Bild,
Und er fand sich zwischen Zeitungsseiten
Und in Damendüfte eingehüllt,

Und er guckte! Hin zum Hut! Und träumte
Sich ganz langsam an den Hut heran,
Und das kleingeratne Lächeln räumte
Seinen Platz, ein Traumbild schäumte
Auf – und plötzlich traf es ihn:
Bums! das Lächeln einer Königin.





Zaster-Tango

 – Lieber Gott, du gabst mir Zaster,
Mit dem Zaster kam das Laster,
Habe manchen meiner Scheine
Umgesetzt in Bier und Weine,
Und zuweilen in Likör,
Alkohol ist mein Malheur.


Wenn die andern Leute träumen,

Steh ich unter dunklen Bäumen

Sehr besoffen und erheitert,

Im Empfinden sehr erweitert,

Und es wirkt auf mich die Nacht

Richtig wie von mir gemacht.


Ach, ich bin so gern besoffen!

Lass mich dennoch weiterhoffen,

Einstens zu den andern Frommen

In den Himmel reinzukommen.

Und zur Freude für uns beide,

Lieber Gott, das wär der Hit,

Bring ich uns ein Fläschchen mit.


Mit dem Zaster kam das Laster,

Habe manchen meiner Scheine

Umgesetzt in Bier und Weine,

Und zuweilen in Likör,

Alkohol ist mein Malheur.


Wenn die braven Leute schlafen,

Steh ich zwischen schwarzen Schafen,

Sehr besoffen sind wir alle,

Niemand kriegt uns in die Falle,

Und es wirkt auf mich die Nacht

Richtig wie von mir gemacht.


Ach, ich bin so gern besoffen!

Lass mich dennoch weiterhoffen,

Einstens zu den andern Frommen

In den Himmel reinzukommen.

Und zur Freude für uns beide,

Lieber Gott, das wär der Hit,

Bring ich uns ein Fläschchen mit.


Lass mich, eh‘ sie mich begraben,

Einen Letzten sitzen haben,

Und den Allerletzten oben,

Hast du je ein Glas gehoben,

Lieber Gott, bedenke dann:

Hundsgemein ist jedermann,

Der darauf verzichten kann.




Fotoshooting anno prüm

 – Und? Der Fotograf, der wollte,
Det ick mir verknautschen sollte,
Beene ineinander legen,
Arme hinterm Rücken schrägen,
Gar keen Lächeln durft ick bringen,
Gucken wie beim Wäschewringen,
Und die allerschönsten Teile
Wie zwee Lampen! In der Eile
War keen Sofa aufzutreiben,
Also uffm Teppich bleiben,
Und im Rücken eene Kiste,
«Mädchen», schrie er, «nackert biste,
Und det reicht, im Hintajrund
Fehlt eventuell een Hund,
Hätten wir mehr Atmosphäre,
Iss ejal, am scheensten wäre,»
Schrie er, «denkst ans Kohlenschippen,
Det bringt Farbe uffe Lippen,
Achtung, kieken! Nich bewejen,
Seele uffn Friedhof lejen,
Bloß nich wackeln, jrade sitzen,
So, jawoll, jetzt lass mers blitzen!»
Und? Wenn da een Hund jestanden
hätte, hätten
Der und ick det Scheißbild och nicht
retten können, wetten?


Erinnerung an Hanna Seiffert

 – Es war so eine Nacht mit Sommer, Mond und Wein,
Ein Gartentisch – und zwei Verrückte sitzen da und bauen
Das Universum um in eine Welt aus lauter Pusteblumen,
Marie, du lachst, ein quietschvergnügtes Schepperlachen
Aus Tiefen hochgeholt, schiebst mir den Rotwein hin:
Zum Wohl auf alle, die schon in den Betten liegen,
Ich bin erst übermorgen müde! Auf das Leben!

Und wie du plötzlich ernst sein konntest! Wie ein Kind,
Das sich zum Denken Zeit nimmt und noch fragt,
Weil es das einfach Ausgedachte sucht und sagt
Es irgendwann und hat sich heimlich damit weggeträumt.  
Der Georg Kreisler hockte unterm Tisch, hat mitgeschwiemelt
In jener auf den Kopf gestellten Nacht. Jetzt steht er oben
Und hakt sich bei dir unter, wenn du kommst:

Madame, Sie werden hier erwartet, kleine Runde,
Der Shakespeare hat sich angesagt, der Morgenstern,
Der Ringelnatz bringt Pellkartoffeln mit und Quark,
Uns beide hat man als Gesangsduett verpflichtet,
Wir singen von den längst vergangnen Fernen,
Vom Zeitverschwenden hinter allen Sternen,
Und dass es schön war unten auf der Erde.


Vor der OP (1)

 – hören >> 

Schon morgen lieg ich unterm Messer.
Vorangemeldet himmelhoch.
In vierzehn Tagen, weiß der Teufel, gehts mir besser,
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht
Werd ich wie weggeweht einfach verschwinden
Über den Winden.
 
Als Mensch war ich gelegentlich ein Knüller,
So immerhin sah ich mich selbst.
Ich seh den Teufel mit gezücktem Füller,
Er schreibt mich in sein Ofenbüchlein ein –
In vierzehn Tagen
könnt ich durch die Ofentür geschoben sein.
 
Lebt erst mal wohl, ihr Glücklichen hier unten,
Ich hab den Sommer hinter mir.
Er zählte ohnehin nicht zu den bunten,
Die letzten grauen Tage gönn ich euch.
Und schreibt die Zeitung vom Chirurgenstreich
In einem gut geführten Hospital,
Dann, bitte, denkt an mich, dann war ich mal.

Dann, bitte, möcht ich nicht, dass irgendwo ein Stein
Mit eingekratztem Datum steht, der kostet nur.
Auch nicht ein Kreuz aus schlichtem Holz
vom Sonderangebot.
Besuche nicht erwünscht! – Ich lass euch eine Spur,
Versprochen. Irgendwie bin ich dann tot
Und abgedriftet hinters Abendrot.

Und manchmal morgens, wenn die Brötchen duften,
Wenn schon die Leute
in Gedanken um die Wette schuften,
Dann guck ich in den Tag und guck auf euch.
Vielleicht als Kröte
Mit Lust auf nichts als bisschen Morgenröte.


Nach der OP (2)

 – hören >> 

 – Da bin ich doch tatsächlich auferstanden –
Im Ernst, ich hab nicht wirklich dran geglaubt.
Noch steh ich schief und bin nur als Entwurf vorhanden,
Doch hat man meine Teile so verschraubt,
Dass irgendeine Art von Mensch zum schönen Schluss
Aus dem Verschraubten werden muss.
 
Ich war ganz nah am himmlischen Geschehen,
Sie haben sich da oben sehr bemüht,
Sie ließen mich durch Schokoladenwälder gehen,
Die Engel waren auf Verlangen nackt zu sehen,
Mein totgeglaubter Kaktus hat geblüht,
Rundum in allem und um alles ruhte
Das Gute.
 
Sie brachten einen Spiegel, und ich sah mich:
Was war ich doch für eine Lichtgestalt!
Das Gute hatte sich mir in den Blick gekrallt,
Ein Herz aus Gold war mir nun um die Brust geschnallt,
Sie führten mich zu einem Tümpel, und ich hüpfte
Ins Wasser, und ein Wasserengel schlüpfte
Mir zwischen Beinen, Armen und ich weiß nicht was
Hindurch, der rief und lächelte,
Indem er Wasser fächelte:
Die Finger, Alter, lass von Raum und Zeit,
Auf gehts in die Unendlichkeit!

Nee! Wollt ich nicht! Mir stand nach Endlichem der Sinn.
Zurück ins Endliche – das wars, worauf ich spitzte.
Ich schob dem Wasserengel eine Welle hin,
Auf dass er irritiert ins Weite flitzte.
Ich hörte die Doktoren Worte wägen,
Und mir ihr Monogramm ins Brustbein sägen …
Dann bin ich aufgewacht
Und hab gedacht:
Da ist noch eine letzte Runde drin!
Ich hob das Kinn
Und hör die Schwester sagen: «Menschenskind,
Schön, dass Sie wieder unten angekommen sind!»


Und nun? (3)

   – hören >> 

 – Ich danke schön. Die guten Wünsche salben
Das reparierte Herz. Es pumpt schon wieder fast
Wie einst im Mai. Der Blick zieht mit den Schwalben
Irgendwohin ins Blaue, ja, der ganze Kerl
Streckt sich schon wieder, und die Sinne kleben
Am neuen Leben.
 
Was, bitte, fang ich mit dem neuen Leben an?
Bin ich noch ganz der Alte? Ist die Welt noch rund?
Mir fehlen immerhin fast dreizehn Pfund,
An mir ist sozusagen kaum noch etwas dran.
 
Ich geh mit kleinen Schritten durch die Welt.
Die großen Schritte muss ich mir verkneifen;
Solang die Lungen noch Proteste pfeifen,
Bin ich auf halbe Schlagzahl eingestellt.
Ich geh mit kleinen Schritten hin zu einem Hund
Und setz mich neben ihn.
Der Hund ist bunt
In einen Strickpullover eingezwängt,
Die Sonne sengt, der Hund verschenkt
Ein Nasenstubsen, und er denkt.

Es denkt der Hund: Der Mensch da neben mir
Ist insofern ein sorgenfreies Tier,
Als er pullovermäßig in der Mittagshitze,
In der ich schwitzend ihm zur Seite sitze,
Sich das Gestrickte runterreißen könnte
Und in den nächsten Gulli schmeißen könnte.
Ich kann das nicht, ich bin gestraft,
Als Hund und höheres Geschöpf versklavt.

Das denkt der Hund. – Ich denke an die Jahre,

Die ich noch habe, nämlich fünfzehn garantiert.

Und plötzlich seh ich mich zerfallen,

Ich seh mich nach dem Leben krallen,

Ich seh mich strickpullovermäßg etabliert

Im Zimmer bei den Alten, und die Haare,

Die ich noch zählen kann, die fliegen auf

Im Abendwind zum Himmel rauf,

Ich ende schließlich irgendwie versklavt am Fenster hockend

Und wütend gegen alles Lebensschöne bockend.


Da spricht der Hund: «Hör einfach auf zu denken,

Du könntest mir ein Eis mit Sahne schenken!»



Schellackplatten-Tango


Wenn die Schellackplatte kratzte,
Und das Liebesweh lief rund,
Ach, dann nahm er sie und schmatzte
Ihr die Sehnsucht auf den Mund,
Und dann spürte sie auch – irgendwas Gewisses,
Doch sie wusste nicht so – ganz genau, was isses.

Wenn der Tango sie umspülte,
Und sie bog sich zu ihm hin,
Ach, dann nahm er sie und kühlte
Ihr das Ohr am Männerkinn,
Und dann stahl er sich ihr – Lächeln und zerbisses,
Und dann wusste sie auch – ganz genau, das isses.

Manchmal streifte er am Tangokleid die Schlitze,
Und dann littse,
Littse sehr,
Denn das führte nur zu unvollkommner Hitze,
Und dann glittse,
Glittse mehr,
Mehr und mehr ihm von der Brust
Und entwand sich seiner Lust,
Doch den nächsten Tangsoschritt,
Hielt sie hitzehoffend wieder gerne mit.

Wenn die Schellackplatte kratzte,
Und das Liebesweh lief rund,
Ach, dann nahm er sie und schmatzte
Ihr die Sehnsucht auf den Mund,
Und dann spürte sie auch – irgendwas Gewisses,
Doch sie wusste nicht so – ganz genau, was isses.

Wenn der Tango sie umspülte,
Und sie bog sich zu ihm hin,
Ach, dann nahm er sie und kühlte
Ihr das Ohr am Männerkinn,
Und dann stahl er sich ihr – Lächeln und zerbisses,
Und dann wusste sie auch – ganz genau, das isses.

Manchmal drückte er sie hin zur Bodenritze,
Und dann schnittse,
Schnittse gern
Ein Gesicht und schickte augenschlitzend klitze-
kleine Blitze
Zu dem Herrn,
Und der hätte auch im Tang-
go mit ihr die Ritze lang
Manchen Drücker noch gewagt,
Doch da hat dem Herrn die Puste sich versagt.

Wenn der Tango sie umträumte,
Und die Blicke wurden schwer,
Ach, dann nahm er sie und räumte
Ihr das Sehnsuchtszimmer leer,
Und dann konnte sie am – nächsten Morgen singen,
Er hingegen musste – nach Erholung ringen.

Wenn die Schellackplatte drehte,
Und das Liebesweh lief rund,
Ach, dann trieb er ins Verwehte,
Kam am Ende auf den Hund,
Und sie weinte ihm nicht – eine Träne, ach,
Weil der Tango sie dem Nächsten in die Arme spülte, nach.